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Natural Horse Sense: Flüstern allein genügt nicht

Sie werden Pferdeflüsterer genannt, doch mit flüstern hat ihre Arbeit nichts zu tun. Vielmehr geht es um Vertrauen und Einfühlsvermögen. Ihre Methoden sind gewaltfrei und effektiv. Wir haben drei bekannten Pferde-Trainern einmal über die Schulter geschaut

GaWaNi Pony Boy arbeitet mit Pferden, wie es der Stamm der Cherokee seit vielen Generationen tut. - Foto: Gabrielle Boiselle

Der große Hengst keilt so kräftig aus, dass den Zuschauern am Ring in der Messehalle der Bodenbelag ins Gesicht fliegt. Plötzlich bleibt er stehen, mustert den Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hat. Neugierig spielt der Braune mit den Ohren und bewegt sich auf den Native American zu. Das ist der Moment, in dem GaWaNi Pony Boy nicht nur die volle Aufmerksamkeit des Hengstes hat, sondern langsam dessen Vertrauen und Respekt gewinnt. Nach einer Weile folgt das stolze Tier dem Pferdetrainer ohne Führleine. Ganz gleich, in welche Richtung sich GaWaNi wendet, der Hengst wandert hinter ihm her, als sei er durch ein unsichtbares Band mit dem Menschen verbunden.

Später im Gespräch verrät Pony Boy: „Das war ein harter Brocken.“ Trotz der knappen halben Stunde, die der Vorführring für den Amerikaner reserviert war, konnte er das Vertrauen des widerspenstigen Hengstes gewinnen. Zufrieden ist der 46-Jährige aber nur bedingt, denn er arbeitet nicht gern unter Zeitdruck. „Es geht mir nicht um möglichst schnellen Erfolg“, stellt er klar.

Vertrauen ist die Basis einer guten Beziehung zwischen Mensch und Pferd. - Foto Gabrielle Boiselle

GaWaNi ist Cherokee (vom Stamm der Tsa-La-Gi) und stolz auf sein indianisches Erbe. Nach seinem College-Abschluss in Geisteswissenschaften, studierte er die Traditionen seines Volkes. Von den Alten verschiedener Stämme lernte er die indianische Art, mit Pferden zu arbeiten. Pony sammelte die Erkenntnisse seiner Vorfahren, probierte deren Methoden aus und fügte eigene Erfahrungen hinzu. So entstand das Native American Horsemanship®, ein Beziehungstraining (Relationship Training®) dem ein ganzheitliches Naturverständnis zugrunde liegt.

Iyuptala – eins sein  

„Ein Pferd ist ein Pferd“, lautet Pony Boys Grundsatz. Mensch und Tier sollten iyuptalaeins sein. Dabei muss das Pferd den Menschen als Führer anerkennen. „Ein Pferd in der Herde folgt der Leitstute, weil es Vertrauen zu ihr hat“, sagt Pony Boy. Ist keine Herde da, muss der Mensch in dieser Zweierbeziehung die Aufgabe der Leitstute übernehmen. „Wenn Sie das nicht tun, wird Ihr Pferd der Führer“, warnt Pony Boy. „Für Indianer ist das Pferd Gefährte und Schutzbefohlener. Es kann alles von Geburt an. Es ist der Reiter, der lernen muss, seine Wünsche deutlich zu machen“, so der Experte.

Iyuptala - eins sein. Foto Gabrielle Boiselle

Zum Thema Belohnung hat Pony Boy eine klare Meinung: „Wenn Ihr Pferd etwas gut gemacht hat und Sie es belohnen wollen, dann sollte die Belohnung nicht das sein, was Ihr Pferd haben will, sondern das, was Sie ihm geben wollen. Sie sind das Alphatier und bestimmen immer, wo es lang geht.“ Basis dieser Beziehung ist immer Vertrauen und Geduld. GaWaNi ist überzeugt davon, dass ein Großteil der Probleme zwischen Pferd und Reiter auf kommunikativer Ebene liegen. „Pferde haben, wie Menschen, eine Distanz, die einen Radius von ungefähr sechs Metern misst. Wenn ein anderes Tier aus der Herde, diese Distanz durchbricht, fühlt es sich unwohl“, erklärt Pony Boy. „Wenn es Sie einmal als seinen Führer akzeptiert hat, wird es von selbst diesen Abstand halten und Ihnen ohne, dass Sie am Führstrick ziehen müssen, folgen.“

Alte Wahrheiten

Ob man beim Beziehungstraining die volle Aufmerksamkeit und den Respekt des Vierbeiners hat, erkennt man laut Pony Boy daran, dass „es seine Ohren in Ihre Richtung stellt, anfängt zu kauen und den Hals entspannt hängen lässt.“

Pony Boys Bücher und Trainingsvideos sind inzwischen Bestseller, seine Workshops gut besucht und die Medien berichten über ihn. Letztere geben ihm gern das Etikett Pferdeflüsterer. Ein Begriff, der nicht auf ihn zutreffe, meint Pony Boy. Schließlich sind „Pferde keine Menschen im Pelz.“ Auch seien es keine Geheimnisse, die er verrate. „Eigentlich erzähle ich nur alte Wahrheiten. Aber die scheinen viele Reiter vergessen zu haben.“ Der zweifache Vater lebt seinen Traum. Er besitzt eine Farm in Arizona, gibt regelmäßig Trainingskurse und „kann den Menschen helfen, ihre Beziehung zu Pferden zu verbessern, sodass beide diese Partnerschaft genießen können.“

Join up

Auch Monty Roberts tut sich schwer mit dem Begriff Pferdeflüsterer. „So ein Quatsch“, sagt er, „meine Arbeit hat absolut nichts mit flüstern zu tun.“ Der Kalifornier ist in Reiterkreisen schon seit Jahren ein Begriff. Einem großen Publikum wurde er 1997 bekannt, als seine Autobiografie Der mit den Pferden spricht erschien. Parallel kam Robert Redfords Verfilmung von Nicolas Evans Bestseller Der Pferdeflüsterer in die Kinos.

In seiner 1997 erschienen Autobiografie beschreibt Monty Roberts seinen Weg vom Rodeo-Reiter zum Verfechter eines gewaltfreien Umgangs mit Pferden. - Foto: Gerhard Hirsch

Monty Roberts Arbeit nahm der Autor Evans als Grundlage für seinen Roman. Monty besteht allerdings darauf, dass er sich von dem Buch und auch dem Film distanziert hat. Denn Evans Geschichte beruhe, so der Pferde-Trainer im Gespräch, nur zu zwei Dritteln auf seinem Konzept. „Für den Rest verwendete er dann das, was er von anderen erfuhr. Ich nehme an, die Geschichte war ihm nicht aufregend genug. Um es sensationeller und dramatischer zu machen, mussten einige hässliche Dinge darin vorkommen. Daraufhin bat ich Evans meinen Namen im Buch nicht zu nennen.“ Unter anderem geht es um eine Szene, in der ein Pferd gezwungen wird, sich hinzulegen, damit seine Reiterin sich auf es stellen kann. Angeblich, um so das Vertrauen zu ihrem Pferd zurück zu gewinnen.

Non verbale Kommunikation

Roberts’ Ärger ist verständlich, denn er entwickelte eine absolut gewaltfreie Methode, Pferde an Zaumzeug und Reiter zu gewöhnen, die er Join up nennt. Dazu beobachtete er Mustangs in freier Natur, studierte ihr Verhalten und übersetzte das in eine Körpersprache, die er Equus nennt. Sie soll Mensch und Pferd die Verständigung erleichtern. „Es ist so leicht, mit einem schwierigen oder jungen Tier zu arbeiten, wenn man die gleiche Sprache spricht“, meint der Kalifornier.

Bei Montys Join Up Methode wird dem Pferd der freie Wille gelassen, ob es folgen will. - Foto: Gerhard Hirsch

Join up (etwa: sich anschließen) basiert im Wesentlichen auf non verbaler Kommunikation zwischen Mensch und Pferd. „Beim Join up“, so Monty, „wird dem Pferd der freie Wille belassen. Wenn es von dir weggehen will, dann lass’ es gehen. Wenn es aufgrund deiner Kommunikation mit ihm, zu dir zurück will, dann belohne es für seinen Entschluss. Gib ihm kein Futter zur Belohnung, sondern Liebe. Wenn Du dich dann von ihm entfernst, wird es dir aus freiem Willen folgen. Das ist Join up. Der Rest, also Zaumzeug anlegen, satteln und es schließlich reiten, all das geschieht, weil das Tier gerne bei dir sein möchte.“

Von den Cherokee lernen

Ein weiteres Element seines Join up beruht auf einer Methode die der Stamm der Cherokee für seine Jagd auf Wild entwickelt hatte, basierend auf Angriff und Rückzug. Monty übertrug diese Strategie auf seine Arbeit mit Pferden. „Es ist ein Naturgesetz, das besagt, wenn man dir für einige Zeit Aufmerksamkeit schenkt und dir diese dann plötzlich wieder entzieht, beginnst du dich zu fragen, wo sie abgeblieben ist. Bei Tieren verhält es sich da nicht anders. Das ist Angriff und Rückzug.“

Einer der häufigsten Fehler im Umgang mit Pferden sei die vorschnelle Bereitschaft des Reiters seinen Partner zu schlagen. „Was glauben Sie, wurde auf der Equitana letztes Jahr (Deutschlands größte Pferdemesse findet alle zwei Jahre satt) am häufigsten gekauft? Gerten und Peitschen!“, ärgert sich Monty. Deshalb sind auf Roberts’ Gestüt in Kalifornien Gerten und Peitschen tabu. Er glaubt, dass jeder sein Pferd gewaltlos dazu bringen kann, gerne für seinen Besitzer zu arbeiten.

Inspiriert von Moshe Feldenkrais

Wie Monty und Pony Boy, hat auch Linda Tellington-Jones ihr ganzes Leben mit Pferden verbracht. Sie war erfolgreiche Reitsportlerin und leitete mit ihrem ersten Mann eine gut gehende Reitschule. Doch schon als Zwölfjährige war Linda klar, dass das damals noch übliche gewaltsame Einbrechen der Pferde, um sie sattelfest zu machen, nicht der richtige Weg zu einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Mensch und Tier sein kann. Beim Einbrechen, werden dem Pferd die Vorderhufe festgebunden, um sie bei Bedarf, also wenn es Widerstand leistet, unter dessen Bauch ziehen zu können. Eine Methode, die auch Monty Roberts Vater anwandte und die ein Auslöser für ihn war, nach einer gewaltfreien Möglichkeit des Trainings zu suchen.

Der von Linda Tellington-Jones entwickelte TTouch kann auch bei Hunden angewendet werden. - Foto-Jodi-Frediani

Lindas Großvater trainierte die Pferde von Zar Nikolaus II. und war überzeugt davon, mit seinen Schützlingen reden zu können. Sein Wissen und ein unscheinbares blaues Büchlein über Bodenarbeit mit Pferden, hatten großen Einfluss auf Linda. Mitte der 70er schloss die Kanadierin ihre Reitschule und besuchte einen mehrmonatigen Lehrgang bei Moshe Feldenkrais. Dem Pionier auf dem Gebiet der funktionellen Integration (The Feldenkrais Methode of Functional Integration). Seine Idee war so einfach wie effektiv: Bewusstsein durch Bewegung schaffen (Awareness through Movement). Durch systematisch sanft ausgeführte und ungewohnte Bewegungen, sollen neue Gehirnzellen geweckt und bislang ungenutzte Nervenbahnen aktiviert werden. So können Blockaden gelöst und Schmerzen gelindert werden. Linda setzte die Feldenkrais-Technik bei ihrer Arbeit mit Pferden ein.

Berührung schafft Vertrauen

Mit der Zeit verfeinerte sie Moshes Methode und entwickelte den so genannten TTouch. Eine Technik, die aus verschieden starken Berührungen in Kombination mit sanft kreisenden Bewegungen besteht. Dabei werden mal nur die Fingerspitzen, dann wieder nur der Handballen oder auch die flache Handfläche genutzt. „Berührung schafft Vertrauen“, sagt Linda und hat damit schon den Kern ihrer Arbeit umrissen. Der TTouch soll das Selbstheilungspotential, das in jeder einzelnen Zelle steckt, aktivieren. Ähnlich wie bei Moshe Feldenkrais’ Arbeit, wirkt der TTouch so auf Zellen und Nervenbahnen, dass Blockaden gelöst werden und selbst starke Schmerzen oder Verspannungen gelindert werden können.

Vor rund 35 Jahren entwickelt, ist der TTouch inzwischen nicht nur in der Pferdewelt bekannt. Längst haben große Zoos, wie etwa der von San Diego, bei Linda um Hilfe angefragt. Auch für Hunde- und Katzenliebhaber ist der TTouch geeignet. Parallel zu den Berührungen hat Linda Tellington-Jones auch ein Trainingsprogramm für Mensch und Tier (Pferde und Hunde) erarbeitet. Das so genannte TTeam schafft ein Vertrauensverhältnis, das ohne Gewalt und Zwang auskommt und im Wesentlichen auf vier Komponenten basiert: 1. Den TTouches, die Gesundheit und Wohlbefinden des Pferdes beeinflussen sollen. 2. Eine spezielle Bodenarbeit, die die Balance und Koordination fördern soll, sodass der Vierbeiner Freude am Lernen hat und keine Angst vor ungewohnten Situationen oder Übungen haben muss. Zu diesem Training gehören beispielsweise spezielle Parcours aus Stangen, die Pferd und Reiter durchwandern müssen. 3. Spezielle Reitübungen, die auch das Reiten ohne Zaumzeug beinhalten und 4. Eine auf das Training abgestimmte besondere Ausrüstung.

Ohne Zwang, Druck und Gewalt

Alle drei Pferdetrainer haben eine Methode entwickelt, die es Mensch und Pferd ermöglicht, ohne Zwang, Druck und Gewalt miteinander zu kommunizieren und eine auf Vertrauen basierende Partnerschaft aufzubauen.

Claudia Hötzendorfer

 

Buchtipps  

GaWaNi Pony Boy: (Auswahl)
Indianisches Pferdetraining - Step by Step
Horse, Follow Closely - Indianisches Pferdetraining, Gedanken und Übungen
(beide bei Kosmos erschienen

Monty Roberts: (Auswahl)
Der mit den Pferden spricht
Die Sprache der Pferde - die Monty-Roberts-Methode des JOIN-UP
(beide bei Lübbe erschienen)

Linda Tellington-Jones: (Auswahl)
Der neue Weg im Umgang mit Tieren - die Tellington-TTouch-Methode
TTouch und TTeam für Pferde - das Praxisbuch
Tellington-Training für Hunde
(alle bei Kosmos erschienen)

Kontaktadressen

GaWaNi Pony Boy
The Pony Boy Learning Center
P.O. Box 2110
St. Augustine, FL 32085 - USA
www.gawani-ponyboy.de/

Monty Roberts
Flag Is Up Farms
901 East Highway 246
Solvang, CA, USA
www.montyroberts.com

Linda Tellington-Jones
TT.E.A.M.-Gilde, Bibi Deign
Hassel 4
57589 Pracht
www.tteam.de (deutsche Homepage)
www.lindatellington-jones.com

 

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