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Wolfspirit oder von den Wölfen lernen – Im Gespräch mit der Biologin und Wolfsforscherin Gudrun Pflüger

Nur wenige Tage nach einer intensiven und sehr berührenden Begegnung mit wilden Wölfen an der Küste Kanadas bekommt die Biologin und Wolfsforscherin Gudrun Pflüger die Diagnose Hirntumor. Doch die ehemalige österreichische Spitzensportlerin gibt nicht auf. Sie wendet das an, was sie bei ihren Beobachtungen in der Wildnis von den Wölfen gelernt hat und den Wolfspirit nennt. Ihr Glaube an die Weisheit des Körpers und die Kraft der Gedanken in Verbindung mit einer Viral-Therapie machen das scheinbar Unmögliche möglich. Gudrun Pflüger wird wieder gesund. Düsseldogs-Herausgeberin Claudia Hötzendorfer sprach mit der Mutter eines kleines Sohnes über Wunder, Glück und ihre Arbeit mit den Wölfen.

Die Biologin und Wolfsforscherin Gudrun Pflüger mit Sohn Conrad, und Husky Nahanni. - Foto: Andreas Kreuzhuber

Entgegen der Prognose einer geringen Heilungschance, haben Sie es geschafft und den Tumor in Ihrem Kopf besiegt. Was bedeutet Glück für Sie?

„Alles, was ich bis jetzt in meinem Leben erfahren habe. Mit einer gewissen zeitlichen Distanz sehe ich auch die gesundheitlichen Herausforderungen wie meine Krankheit, die ich gemeistert habe, als Glück. Glück ist für mich nichts Statisches, sondern ein sehr dynamischer Zustand. Ich bin überzeugt davon, dass es einem auch nicht einfach so in den Schoß fällt. Glück ist kein Zufall.“

Sie haben den Begriff Wolfspirit geprägt. Was bedeutet er für Sie?

„Damit meine ich meine innere Kraft und Leidenschaft, die mir einfach so viel Freude in meinem Leben gibt. Wenn man so weit weg ist vom gesunden Zustand kann man sich unter gesund überhaupt nichts mehr vorstellen. Gesund werden, was ist das? Ich hatte überhaupt keine Ahnung mehr, was das ist. Das war einfach zu abstrakt und zu weit weg. Es war ein Zustand, aber kein Ziel. In dieser Situation habe ich etwas Handfestes und Greifbares für mich gebraucht. Etwas, worunter ich mir etwas vorstellen und das ich verinnerlichen kann. Und das war für mich der Wolfspirit, einfach diese guten Eigenschaften, die ich beim Wolf erlebt und gesehen habe. Diese Zielstrebigkeit! Wenn man Monate und Jahre hinter Wolfsspuren herläuft, gerade im Winter, wenn man sie so schön sieht im Schnee, sieht man, wie zielstrebig Wölfe sind. Sie laufen kilometerweit geradeaus, ohne kaum je nach links oder rechts abzuweichen. Man glaubt nach wenigen Schritten bereits zu wissen, dass die Wölfe eine genaue Vorstellung davon haben, wo sie hinwollen.

Eine alte Weisheit gibt eine Antwort auf die Frage, wie man einen Hundeabdruck von einem Wolfsabdruck unterscheiden kann. Denn eigentlich kann man es nicht, wenn man ehrlich und seriös antwortet. Aber man kann sie unterscheiden, wenn man eine Spur hat. Weil der Wolf ganz anders geht, die Landschaft ganz anders nutzt, als Hunde. Hunde schnüffeln mal hier mal da, sie clownern herum, sie haben sehr viel Energie, weil sie sich keine Gedanken um ihr Futter machen müssen. Deshalb brauchen sie auch kein Ziel. Also diese Zielstrebigkeit, Ausdauer und Geduld mit der Wölfe stunden- manchmal auch tagelang ihre Beute – quasi ihr Ziel – beobachten und auf den richtigen Moment warten, bis ein Tier Schwäche zeigt und dabei keinen Stress haben.

Dann kommt das Rudel hinzu. Der Begriff Rudel hat für mich eine sehr positive Bedeutung. Gerade jetzt, wo in Österreich und auch in Deutschland die Wiederbesiedelung der Wölfe wieder ein Thema ist. Jeder hat scheinbar Angst davor, wenn das erste Rudel zustande kommt.“

Wochenlang folgt Gudrun Pflüger Wolfsspuren im Schnee Kanadas. - Foto: Pflüger

Das ist so ein wenig wie mit dem Problembären. Erst wollen alle, dass die Tiere wiederkommen und wenn sie dann da sind, werden sie zum Problem.

„Ja, den einzelnen Wolf können wir vielleicht noch dulden, aber wenn ein Rudel kommt … Ich sag dann immer, seid froh, wenn ein Rudel kommt, denn die sind aufeinander eingespielt. Der Teamgeist dieser Tiere ist unglaublich. Sie wissen so genau Bescheid über den anderen, sie sind so interessiert am anderen. Sie kommunizieren ständig und leben eine sehr offene und ehrliche Beziehung. Sie teilen mit, wie sie denken und wie sic sich gerade fühlen. Das sind für mich sehr hilfreiche Charakterzüge, die ich mir zugelegt habe, für meinen eigenen Weg der Heilung.“

Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Begebenheit am 11. September 2001, als Sie lautes und anhaltendes Wolfsgeheul in der Wildnis hörten und später erfuhren, dass es genau der Moment war, in dem die Flugzeuge ins World Trade Center flogen. Wie haben Sie das für sich bewertet?

„Ich weiß es bis heute noch nicht wirklich zu erklären. Wenn unser westlicher Verstand keine Erklärung findet, sollte man es auch einfach so belassen. Wenn man unbedingt Erklärungen braucht, kann man sich am Glauben der First Nation – den Indianern – orientieren. Für sie ist der Wolf ein Wesen, das zwischen Zeit und Raum wandert und eine Verbindung herstellt. So kann ich es für mich stehen lassen.“

Während Ihrer Erkrankung und der sich anschließenden Therapie schreiben Sie in Ihrem Buch Wolfspirit, haben Sie an die Weisheit des Körpers und die Kraft der Gedanken geglaubt. Wie wichtig war beides für Ihren Heilungsprozess?

„Sehr wichtig. Ich wurde von meinen amerikanischen Freunden auch in diese Richtung geführt. Ich habe mich unbewusst mit Leuten umgeben, die ähnlich denken wie ich und die gleiche Lebenseinstellung haben. Ich würde mich jetzt nicht als gläubig im Sinne einer Religion bezeichnen, mir gefällt der Begriff spirituell in diesem Zusammenhang einfach besser.

Auf die heilende Kraft der Gedanken bin ich über eine Naturheilerin gekommen. Sie hatte mir eine Telefonnummer in die Hand gedrückt und gesagt, es gibt da eine Gruppe von ein paar hundert Leuten in den USA, die kann man darum bitten, dass sie für dich beten. Es geht dabei darum, dass möglichst viele Leute zur gleichen Zeit die gleichen Gedanken haben. Das ist so kraftvoll, dass sie reell werden. Das war mir irgendwie unheimlich. Ich habe da auch nie angerufen, aber als ich dann im Krankenhaus lag in der Nacht vor meiner Operation und all die guten Wünsche und Grüße bekam, hatte ich eine Vorstellung davon, was sie gemeint hat. Einmal flog ich von Kanada aus über Frankfurt heim nach Österreich und kam mit meinem Sitznachbarn, einem Geschäftsmann auf dem Weg nach Ghana, ins Gespräch. Er erzählte mir, dass Ghana der einzige Staat in Afrika sei, in dem es keine Bürgerkriege gäbe und führte das darauf zurück, dass auf einem Hügel über der Hauptstadt Acra immer ein paar hundert Menschen säßen, um für den Frieden zu beten. Ich bin fest davon überzeugt, ohne all die guten Wünsche hätte ich die Krankheit allein nicht besiegt.“

Sie haben während Ihrer Erkrankung einen Schamanen aufgesucht. Wie kam es dazu?

„Das war etwa zwei Monate nachdem der Tumor diagnostiziert und operiert worden war. Freunde hatten mir von ihm erzählt und sie meinten, ich sollte ihn doch mal aufsuchen. Er kommt ursprünglich aus Deutschland, lebt aber in Kanada. Schamanen wie er, kennen viele Urvölker. Sie können enorme Kräfte freisetzen durch bestimmte Zeremonien. Er hat meine Schwester, meinen damaligen Freund und mich zu unserem jeweiligen Krafttier geleitet. Es hat so gut gepasst, obwohl er mich überhaupt nicht kannte. Das war ein sehr bereichernder Besuch.“

Sie sind sehr naturverbunden und Sie haben einen besonderen Bezug zu den Elementen. Welche Rolle spielt Spiritualität in Ihrem Leben?

„Ich denke, sie macht einen offener und feinfühliger. Und das ist sehr wichtig gerade, wenn man draußen in der Natur arbeitet, die sehr viel feiner kommuniziert. Ich glaube, sie kann auch ein sehr gutes Werkzeug sein, wenn man sich darauf einlässt. Ich sage immer, alles was die westliche Wissenschaft kann, können wir nur messen mit Geräten, die der Mensch entwickelt hat. Das was wir heute wissen, was ganz klipp und klar ist, logisch und selbstverständlich, war vielleicht noch vor 100 Jahren Hexerei und Zauberei. Deshalb empfinde ich sie als eine Reise in Richtung vollkommener Wahrheit, mit der wir aber nicht umgehen können.

Ein wenig Mythos und ein bisschen Unkontrollierbares tut uns sehr gut, auch wenn wir damit nicht wirklich umgehen können. Denn das wird uns helfen als Menschen, den Platz zu finden, an den wir hingehören.“

Gudrun Pflügers Lieblingsplatz in der Wildnis Kanadas. - Foto: Pflüger

Wie kommt es eigentlich, dass der Wolf nach wie vor so ein schlechtes Image hat?

„Ich glaube, die meisten Menschen haben Probleme mit dem Wolf, weil er das Unfassbare und nur schwer Kontrollierbare verkörpert. Im übertragenen Sinne haben auch sehr viele in unserer Gesellschaft mit diesem Kontrollverlust ein Problem. Alles muss geplant und voraussehbar sein. Alles muss statistisch untermauert und entmystifiziert werden.

Ich denke, die Beziehung zwischen Mensch und Wolf ist so emotional, weil es dabei auch um archaische Ängste geht. Etwa wie lebendig gefressen zu werden. Wahrscheinlich war es auch irgendwann mal so, dass die Wolfsgemeinschaft und die ersten menschlichen Gesellschaften eng zusammen und ähnlich gelebt haben. Nämlich in nomadisierenden Großfamilien, die gemeinsam gejagt haben und das auch noch die gleichen Beutetiere.“

Der Wolfsforscher Günter Bloch sagte mir in einem Interview, dass die Art, wie Wölfe miteinander umgehen, so sozial wäre, dass sich mancher Mensch daran orientierten sollte.

„Dem kann ich nur beipflichten. Aber weil wir uns so ähnlich sind, in unseren Sozialstrukturen und im Umgang miteinander, haben wir versucht, die weniger guten Eigenschaften auf etwas anderes – den Wolf - zu projizieren. Hinzu kam die Kirche, die etwas Materialisiertes gebraucht hat, um die einfachen Leute das Fürchten zu lehren vor dem Teufel. Da bot sich der Wolf als des Teufels Hund an. Dabei war er nie eine reelle Bedrohung. Damals war ganz Mitteleuropa wie ein einziger riesiger Wald, der durch die Besiedelung, Ackerbau und Vierzucht immer weiter zurückgedrängt wurde. Die gerodeten Flächen verkleinerten die Reviere der Tiere. Der Wolf als eines der mobilsten und anpassungsfähigsten Tiere, hat dann auch mal Haustiere gerissen. Je mehr der Mensch die natürliche Wehrhaftigkeit von Wildschafen und Wildziegen weggezüchtet hat, hatte der Wolf ein leichteres Spiel und war von da ab für die Menschen ein rotes Tuch.“

Was war Ihre berührendste Erfahrung mit Wölfen?

„Eindeutig das Erlebnis auf einer der Wiese, als ich mitten unter ihnen war. Meine Gefühle sind nur sehr schwer zu beschreiben. Ich hätte mir so eine Begegnung nie vorstellen können und dann bekomme ich so ein Geschenk, das dann auch noch auf Film gebannt wurde.“

Einige Wochen nach dieser spannenden Begegnung mit den Küstenwölfen bekamen Sie die Diagnose Hirntumor. Was bedeutet dieses Erlebnis für Sie in diesem Zusammenhang rückblickend?

„Der Moment war so unglaublich und intensiv. Obwohl die Einzelheiten inzwischen etwas verblassen, ist er dennoch sehr präsent. Ich kann mich nur noch an die Bilder erinnern, die das Kamerateam für den Film eingefangen hat. Abgesehen davon kann ich mich visuell an nichts mehr erinnern. Aber die Gefühle, die ich damals hatte, steigen immer wieder in mir hoch, wenn ich daran denke. Ich habe an diesem Tag nie alle sechs Wölfe gleichzeitig gesehen, sondern immer nur den einen oder die zwei, die gerade bei mir waren. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt ein ungutes Gefühl, den Wölfen so nahe zu sein. Und zwar deswegen nicht, weil ich einerseits sehr viel über Wölfe wusste. Informationen und Erfahrungen helfen immer, um gewisse Ängste unter Kontrolle zu bekommen. Andererseits haben die Wölfe mit jedem Schritt, den sie auf mich zugekommen sind, das aus eigenem Antrieb heraus getan. Es war ihre Entscheidung, in ihrem Tempo. Da war ein gegenseitiges Vertrauen. Man spürt das auch zwischen so verschiedenen Arten wie Mensch und Wolf.

Zu der Zeit wurden die ersten Studien über Spiegelneuronen veröffentlicht. Damit hatte ich dann auch eine Erklärung von Verstandesseite her, dass gegenseitiges Vertrauen auf Reflexion basiert. Das hat einfach gepasst an diesem Tag.“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

Buchtipp:

Gudrun Pflüger
Wolfspirit
(Patmos)

 

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