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Physiotherapie in der Tierheilpraxis

Was für den Menschen gut ist, kann für unsere Haustiere nicht schlecht sein. So verhält es sich auch mit der Krankengymnastik. Die Tier- und Human-Physiotherapeutin Kerstin Hasse hat das Standartwerk zum Thema Physiotherapie für Hunde geschrieben und legte damit erstmals einen leicht verständlichen Ratgeber für Profis und Laien vor. Mit Düsseldogs-Herausgeberin Claudia Hötzendorfer sprach die im Dezember 2012 viel zu früh verstorbene ausgebildete Heilpraktikerin darüber, was man dabei beachten sollte und wann sich der Besuch beim Physiotherapeuten mit Hund, Katze oder Pferd lohnt.

Ausgangsposition für Dehnungen in der Physiotherapie. - Foto: Hasse

Worin unterscheiden sich Krankengymnastik und Physiotherapie?

„Es gibt keinen Unterschied. Anfang der 1990er Jahre – nach der Wende – wurde der Begriff angeglichen. Bei uns hieß es Krankengymnastik und in der ehemaligen DDR Physiotherapie. Man war wohl der Ansicht, Krankengymnastik passt nicht mehr so richtig und hat es einfach umbenannt. Aber grundsätzlich ist es das gleiche.“

Gibt es Unterschiede zur Physiotherapie beim Menschen?

„Bei den passiven Sachen wie Elektrotherapie, Massagen oder Dehnungen gibt es keinen Unterscheid. Beim Menschen kann ich natürlich Übungen machen. Dem kann ich sagen, heben sie ihr rechtes Bein zwanzigmal. Das klappt beim Tier nicht. Da muss ich auf Reflexe ausweichen oder gezielt Bewegungsübungen mit ihm machen. Ich bekomme kein Tier dazu, nur ein Körperteil, zum Beispiel das rechte Hinterbein, zehnmal hochzuheben. Das klappt einfach nicht. Oder zumindest kann ich ihm nicht vermitteln, dass es auf diese Weise mitarbeiten muss.“

Kräftigung und Mobilisierung der Vorderläufe durch Wassertreten. - Foto: Hasse

Was fällt unter den Oberbegriff Physiotherapie?

„Ich persönlich teile die Physiotherapie in zwei Bereiche auf. Einmal die physikalischen Therapien, mit Wärme, Kälte, Wasser, Licht und Strom. Andererseits die manuellen Therapien. Da arbeite ich als Therapeutin mit meinen Händen. Ich denke dabei an Massagen, spezielle Gelenk- und Weicheteiltechniken oder Bewegungsübungen. Manche Therapeuten packen ostepatische Ansätze noch mit hinein. Aber für mich ist das ein ganz anderer Bereich.“

Können grundsätzlich all diese Dinge zur Anwendung kommen, wenn man einen Tier-Physiotherapeuten aufsucht oder gibt es auch Kollegen, die sich spezialisieren?

„Viele spezialisieren sich, denn nicht jeder richtet sich eine Praxis ein. Ich selbst habe auch keine. Ich kann bei mir zuhause Hunde behandeln, aber meistens fahre ich direkt zu meinen Klienten. Damit fallen dann bestimmte Bereiche auch einfach weg. Nicht jeder Hunde-Physiotherapeut und schon gar kein Pferde-Physiotherapeut hat zum Beispiel ein Laufband im Wasser. Es ist eine Supersache, aber auch wahnsinnig teuer. Das wird und kann sich nicht jeder zulegen. Gleiches gilt für ein Elektrotherapiegerät für Tiere, das nicht jeder hat. Bei diesen Kollegen fällt der physikalische Bereich dann eher raus aus ihren Möglichkeiten, zugunsten einer Spezialisierung auf manuelle und Bewegungstherapien.“

Dehnung des Schultergelenks. - Foto: Hasse

Wann und wie wird die Physiotherapie bei Tieren eingesetzt?

„Bei Hunden meistens nach Operationen. Was sich unterscheidet zur Anwendung bei Mensch und Pferd, bei denen schon bei geringeren Rückenbeschwerden Physiotherapie verschrieben wird. Das ist beim Hund eher selten. Da kommt es häufig erst entweder nach Traumata, wenn es einen Unfall gab oder ein Bandscheibenvorfall, wie Dackellähme, diagnostiziert wurde vor. Sehr häufig ist es bei Hunden aber nach Operationen, wie zum Beispiel bei Hüftgelenksendoprothesen oder Eingriffen am Sprunggelenk, Ellenbogen oder Rücken angezeigt. In diesen Fällen weisen mittlerweile sehr viele Tierärzte glücklicherweise darauf hin, dass es sowas gibt wie Physiotherapie für Hunde. Ansonsten ist dieses Angebot noch relativ unbekannt, obwohl sich langsam immer mehr Leute dafür interessieren.“

Wie lange dauert eine Behandlung und wie läuft sie ab?

„Das hängt von der Erkrankung des Tieres ab. Zehn bis zwölf Besuche muss man schon einkalkulieren. Was die Dauer der Behandlung angeht, so handhabt das jeder Therapeut unterschiedlich. Bei mir ist es in der Regel eine Dreiviertel- bis zu einer Stunde. Viele machen einen Halbstundentakt, je nachdem wie viel Geduld ein Tier hat. Die zeigen einem ja sehr deutlich, wann es ihnen reicht und sie nicht mehr mögen, dass jemand an ihnen rumhantiert.

Was den Ablauf angeht, ist das schwer zu beantworten. Denn der ist völlig individuell. Beim ersten Besuch schaue ich mir das ganze Tier an. Wenn es geht auch in Bewegung. Dann taste ich es einmal komplett ab, um zu sehen, wo es Probleme gibt oder wo das Tier Schmerzen hat. Meist folgt dann eine Massage und es ist erstaunlich, selbst Hunde, die erst einmal vorsichtig waren, sind danach wie ausgewechselt und sie erlauben mir mit ihnen zu arbeiten. Beim nächsten Treffen kommt man um eine Kuschelnummer nicht drum herum. Das ist wie ein kleines Begrüßungsritual. Allerdings ist auch nicht immer eine Massage angesagt. Aber bei der allerersten Behandlung ist sie eigentlich immer mit drin. Weil selbst das Abtasten nach Verspannungen und Verhärtungen eine Form der Massage darstellt.“

Welche Rolle spielt der Besitzer bei der Sitzung?

„Am liebsten keine. Ich habe es gern, wenn er sich außenvor hält, damit ich Kontakt zum Tier aufnehmen kann. So können das Tier und ich uns aufeinander konzentrieren. In dem Moment, in dem der Besitzer dazwischenfunkt und Fragen stellt, bin ich unaufmerksam. Dann wirkt die ganze Behandlung nicht mehr so intensiv, wie sie sollte. Das ich mit dem Besitzer über die Diagnose spreche und ihm zeige, was er machen kann, das folgt im Anschluss. Wenn wir beispielsweise aber ein Bewegungsbad haben, dann ist es für das Tier natürlich schöner, wenn der Besitzer dabei ist, weil das Sicherheit gibt.“

Stabilisierung des Rückens. - Foto: Hasse

Kann auch ein Laie damit arbeiten?

„Ja. Viele Sachen kann der Besitzer nach Anleitung durch einen Physiotherapeuten selbst machen. So muss er nicht dreimal die Woche zum Krankengymnasten gehen, sondern kann sein Tier auch mal selbst massieren. Was sinnvoller ist, weil dann eben auch öfter mit dem Tier gearbeitet wird. Denn einmal in der Woche nur zum Therapeuten zu gehen, um es behandeln zu lassen, bringt gar nichts. Nebenbei bemerkt fördert das die Bindung zum Tier und unterstützt den Heilungsprozess. Das ist auch meine Herangehensweise. Ich versuche das den Haltern nahe zu bringen. Wenn sich jemand nun völlig sperrt, dann insistiere ich jedoch nicht weiter.“

Worauf sollte man denn dabei achten?

„Auf die Reaktion des Tieres. Das ist das wichtigste. Denn die Tiere zeigen an, ob es ihnen angenehm ist oder nicht. In dem Moment, in dem es ihnen nicht mehr gefällt, sollte man es auch lassen und vielleicht beim Therapeuten noch mal nachfragen, was man eventuell falsch gemacht hat. Möglicherweise hat man beim Massieren zu fest zugefasst und muss es beim nächsten Mal nur lockerer probieren.

Bei Gelenktechniken sollte man allerdings als Laie vorsichtig sein und besser die Finger davon lassen. Weil man dabei schnell etwas falsch machen kann. Und dann kann es schon zu spät sein, wenn der Hund anzeigt, dass es ihm weh tut. Eventuell hat man ihm schon eine kleine Verrenkung beigebracht. Davon haben weder Hund noch Halter etwas und auch der Physiotherapeut, der später nachbehandeln muss, wird nicht glücklich darüber sein.“

Streichbewegungen mit den Händen. - Foto: Hasse

Es heißt, wenn sich Hunde bei einer Massage wohl fühlen, zeigen sie das durch Schmatzen und Kauen an. Stimmt das?

„Ja. Allerdings ist es typabhängig. Manche schmatzen oder lecken sich über die Nase. Das ist ein Zeichen der Entspannung, wenn die ganze Muskulatur im Gesicht loslässt. Das ist aber nicht bei jedem Tier so. Manche liegen einfach nur da und machen die Augen zu oder grunzen vor sich hin.“

Wie erkennt man als Laie, ob nur ein Muskelkater vorliegt oder bereits schwerwiegendere Probleme?

„Gar nicht. Als Laie ist das sehr schwer. Selbst als Therapeut muss man sehr genau untersuchen. Denn es fühlt sich erst einmal beides gleich an. Ein Muskelkater verschwindet nach zwei oder drei Tagen, eine Verspannung hingegen nicht. Wenn man diese zwei, drei Tage abwartet, kann man nicht allzu viel falsch machen. Denn auch bei einem Muskelkater kann man leicht massieren. Ist dann keine Besserung eingetreten, empfiehlt sich schon der Besuch beim Tierarzt oder Therapeuten. Liegt hingegen ein Muskelriss vor, merkt das auch ein Laie. Denn das Tier lahmt sehr, weil es richtig weh tut.

Letztendlich kann man grob abschätzen, was man die letzten beiden Tage mit seinem Hund unternommen hat. Wenn es beispielsweise eine längere und anstrengendere Tour war, mit vielen bergauf und bergab Strecken, könnte das einen Muskelkater hervorgerufen haben.“

Bietet sich die Physiotherapie als Prophylaxe an?

„Massagen definitiv. Wenn man nach einem langen Spaziergang nachhause kommt, kann man massieren, damit sich die Muskulatur nicht verhärtet. Wenn ein Hund gerne badet, empfiehlt sich auch warmes Wasser. Überhaupt Wärme beispielsweise mit Rotlicht, Körnerkissen oder einer Heizdecke tut den Hunden gut. Ebenso empfehlenswert sind Dehnungen. Vor allem bevor man zu einem anstrengenden Ausflug startet. Auch vor sportlichen Wettkämpfen kann man vorsichtig durchdehnen. Bei einem normalen Spaziergang ist das nicht notwendig. Wenn man aber weiß, es liegt etwas besonders an, kann man die Muskulatur schon mal geschmeidig machen.“

Massagen fördern auch die Bindung zwischen Mensch und Hund. - Foto: Hasse

Sie erwähnen in Ihrem Buch auch das Aufwärmen eines Hundes. Läuft das ähnlich wie beim Pferd durch Bewegung ab?

„Im Prinzip reicht es, um einen Hund aufzuwärmen, mit ihm 20 bis 30 Minuten spazieren zu gehen. Wenn man dann einen Ball oder ein Stöckchen wirft, ist die Muskulatur so aufgewärmt, dass sie die Belastung abfängt. Wichtig bei solchen Aktivitäten ist allerdings, dass der Hund schon Muskulatur haben muss. Bei jungen Hunden sind solche Spiele fatal, weil noch kaum Muskelaufbau vorhanden ist und die Belastung direkt auf die Gelenke geht. Das gleiche gilt für untrainierte Hunde. Das gibt früher oder später sonst schwere Schädigungen. Deshalb lieber vorher mit dem Tier spazieren gehen, Dehnungen machen, ein wenig herumtollen und erst dann mit dem Springen über Hindernisse beginnen oder hochspringen lassen. Andernfalls kommt es nicht nur zu Gelenkproblemen sondern auch zu Muskelfaserrissen, weil die Muskulatur noch nicht elastisch ist. Damit kann man seinen Hund wirklich bleibend schädigen.“

Welche begleitenden bzw. fortführenden Maßnahmen bieten sich zur Physiotherapie an?

„Da der Besitzer in der Regel nicht sieben Tage in der Woche zu mir kommt, sollte er begleitend etwas tun. Und zwar bieten sich Massagen an, denn da kann man nicht wirklich etwas falsch machen. Wenn man auf die Reaktionen des Tieres achtet. Ich zeige dem Besitzer spezielle Dehnübungen. Wie weit kann er gehen. Wo ist ein natürliches Ende und wo sollte er nicht drüber hinaus dehnen. Dann kann man begleitend mehrmals in der Woche mit dem Hund beispielsweise schwimmen gehen. Ein Gewässer, wo der Hund schwimmen kann, haben die meisten in der Gegend.“

Wo stoßen Sie an Ihre Grenzen?

„Lindern kann man eigentlich fast immer mit Physiotherapie, speziell mit Massagen und Dehnungen. Heilen bei arthrotischen und degenerativen Veränderungen kann man nicht mehr. Wenn Knorpel weg ist, ist er weg. Wenn Knochenwucherungen da sind, kann ich mit der Physiotherapie nichts machen. Da kann ich wirklich nur versuchen zu lindern und Verspannungen zu beseitigen. Das Krankheitsbild selber, die Ursache kann ich nicht beheben. Da bleibt oft nichts anderes mehr, als tatsächlich zu operieren oder so hart es manchmal ist, wenn man merkt, dass sich ein Tier nur noch quält, es zu erlösen.“

Ab welchem Hundealter kann man die Physiotherapie anwenden?

„Das geht schon beim Welpen. Da wäre ich allerdings als Laie vorsichtig. Massagen sind noch in Ordnung. Denn bei diesen kleinen Wesen sollte man ganz sanft und vorsichtig sein. Denn die sind vom Knochenbau noch so weich. Die haben es in der Regel auch nicht wirklich nötig. Wenn bei einem Welpen bereits eine beginnende Hüftdysplasie festgestellt wurde, kann man ihm eine Spreizhose anziehen und hat eventuell die Chance, dass sich die Hüftpfanne noch etwas weiter ausbildet. Oder man kann eine Übung machen, indem man den Welpen auf den Rücken legt und die Beine leicht auseinanderdrückt. Da hat man wie bei einem Menschenbaby möglicherweise die Chance, dass es nicht ganz so schlimm wird. Nach einem Unfall kann man natürlich wie bei einem erwachsenen Hund verfahren.“

Welches sind die häufigsten Krankheitsbilder?

„Vor allem die Hinterhand, Hüftgelenk, Kniegelenk, sehr häufig Rückenprobleme und zunehmend Ellenbogen-Beschwerden. Alles andere kommt kaum vor.“

Welche Fehler treten vermehrt auf?

„Nicht auf das Tier zu achten. Schmerzen zu verursachen, weil man sich vielleicht anatomisch nicht auskennt. Man denkt dann vielleicht, dass man weiter dehnen könnte, wo es nichts mehr zu dehnen gibt. Da wirklich in einen Bereich zu gehen, der nicht mehr physiologisch ist und damit auch Hypermobilitäten zu schaffen, anstatt etwas Sinnvolles zu tun und dadurch zu schaden.“

Kann man des Guten auch zu viel tun? Können Muskeln beispielsweise verhärten, wenn man immer wieder und zu lange massiert?

„Mit einer normalen Massage kann man eigentlich keinen Schaden anrichten. Es sei denn, man übertreibt es und macht stundenlang an einem Tier herum und das auch noch jeden Tag. Dann verspannt sich das Tier, weil es denkt, och nö schon wieder.“

Wie erkennt man einen guten Physiotherapeuten?

„Es ist keine geschützte Berufsbezeichnung, was zu sehr viel Wildwuchs geführt hat. Man sagt in solchen Fällen ja gern, fragen sie nach der Ausbildung. Was im Prinzip albern ist, weil es so viele verschiedene Ausbildungsangebote gibt. Aber man sollte nachfragen, wie viel Erfahrung der Therapeut mitbringt, wie lange er schon mit der Physiotherapie arbeitet. Letztendlich kann man aber nur an seiner Arbeit erkennen wie gut er ist. Wenn man ihn beobachtet und merkt, ob das Tier sich bei der Behandlung wohl fühlt und ob es ihm danach besser geht.“

Das Interview führte Claudia Hötzendorfer

 

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Physiotherapie für Hunde 

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